Ein Christ kann in seinem geistlichen Wachstum zwar auf jeder Ebene seiner persönlichen Entwicklung stehen bleiben, doch die Mehrzahl der nicht wachsenden Christen befindet sich auf der ersten Stufe des geistlichen Wachstums, im Kleinkindstadium. Aber wie kann man erkennen, ob man geistlich wächst oder nicht? Im Folgenden hierzu einige Beobachtungen:

Wenn Sie schon seit einigen Jahren selbstständig die Bibel lesen, doch die praktische Bedeutung des Gelesenen für Ihr alltägliches Leben nicht verstehen, ist das vermutlich ein Anzeichen dafür, dass Sie geistlich nicht wachsen. Hier meine ich das wirkliche Begreifen, die sich eröffnende Bedeutung des Textes für das heutige Leben beim persönlichen Lesen und Forschen in der Heiligen Schrift, nicht das wiederholte oder sogar regelmäßige Bibelstudium oder die schlichte Kenntnis des Inhalts, nicht das Auswendiglernen kleiner oder größerer Bibelabschnitte, auch nicht die intensive Lektüre von Bibelkommentaren oder anderer christlicher Literatur. All dies ist gut, nützlich und empfehlenswert, aber es sind nur Voraussetzungen und Hilfen bei der Vertiefung in die Heilige Schrift. Gottes Wort ist nicht in erster Linie für Theologen und Kirchenlehrer da; es ist an alle Menschen ohne Ausnahme adressiert, zur praktischen, täglichen Anwendung und zur Rettung ihrer Seele. Darum soll es sich Ihnen ganz persönlich unter Wirkung des Heiligen Geistes beim Lesen offenbaren, denn Sie sind ein Kind Gottes und Gott möchte durch sein Wort mit Ihnen persönlich ins Gespräch kommen!

Wenn Sie die Bibel lesen und genau so viel wie schon vor drei, fünf oder zehn Jahren verstehen, ist das ein Anzeichen dafür, dass Sie geistlich nicht wachsen. Wenn geistliches Wachstum geschieht, wird Ihnen auf jeden Fall mit der Zeit bewusst werden, was für ein unvollkommenes, kleinkindgemäßes (oder kindliches, jugendliches) Verständnis von Gott und seinem Wort Sie bisher hatten, und Sie werden eine immer größere und tiefere Erkenntnis seines Willens gewinnen. Viele Christen meinen, es sei ein Ausdruck von Treue gegenüber Gott, an seinem bisherigen Verständnis von Bibelworten festzuhalten. Doch das ist nicht immer so. Natürlich gibt es Situationen, in denen die Treue gegenüber einer bestimmten Lehre, einem gewissen Bibelverständnis oder gegenüber Prinzipien des gemeindlichen Lebens ein Ausdruck für die persönliche Treue zu Gott ist. Doch sehr kommt es vor, dass bei Menschen, die seit drei, fünf oder mehr Jahren gläubig sind, das beharrliche Festhalten an der von einer Gemeinde vertretenen Lehre nichts anderes ist als das Festhalten an einer Erkenntnis, die sie auf einem bestimmten Niveau ihrer geistlichen Entwicklung gewonnen hatten. Es kann passieren, dass Gott uns von dem Platz, an dem wir uns gerade befinden, fortbewegen und weiterführen will, doch wir sind ihm nicht gehorsam und beginnen sogar mit ihm zu kämpfen. Natürlich muss es wirklich Gott sein, der uns durch seinen Heiligen Geist weiterführen will. Manchmal sind es auch wir selbst, die mit dem eigenen Verstand und mit eigenen Kräften einen vermeintlichen geistlichen Fortschritt bewirken wollen. Erst recht spreche ich hier nicht von „Weiterentwicklungen“ im Glauben, wo Menschen irgendwelchen Irrlehrern und falschen Propheten folgen, indem sie deren „hochgeistlichen“ Offenbarungen glauben. Davor bewahre uns Gott.

Wenn bei Ihnen kein Prozess der persönlichen Heiligung stattfindet, bedeutet das, dass Sie geistlich nicht wachsen. Über die Heiligung steht geschrieben: „Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr meidet die Unzucht und ein jeder von euch seine eigene Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung, nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen. Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist ein Richter über das alles, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben.“ (1 Thess 4,3-6a) Durch unsere Bekehrung und Hinwendung zu Gott erfahren wir Befreiung von vielen Sünden, die uns in unserem vorherigen Leben beherrscht haben. Doch der Herr lässt uns nicht von allen Sünden befreit werden. Er stellt uns ein Ziel vor Augen, damit wir auf dem Weg zur Ewigkeit Schritt für Schritt den Prozess der Reinigung und Heiligung durchschreiten und immer wieder neue Siege feiern über unser Fleisch und unsere persönlichen Sünden und Begierden. Man nennt diesen geistlichen Prozess auch „Mitgekreuzigtsein“ mit Jesus Christus nach den Worten des Paulus an die Galater: „Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir …“ (Gal 2,19-20a) Wenn ein Christ eine lebendige Beziehung zum Herrn hat und der Heilige Geist sein Leben bestimmt und lenkt, kommt es ganz sicher zu dieser Konsequenz.

Wenn Sie sich in Ihrem Charakter nicht verändern und keine Umgestaltung und Besserung der unvollkommenen Eigenschaften Ihres inneren Menschen stattfindet, ist das ein Hinweis darauf, dass Sie geistlich nicht wachsen. Es gibt keinen Menschen, der vollkommen wäre in der Liebe, im Glauben, in der Geduld, im Vergeben usw. In manchen Bereichen sind wir stark, aber in anderen mit Sicherheit auch schwach und unvollkommen. Eine Veränderung sollte es bei allen unseren Charaktereigenschaften geben, aber besonders dort, wo wir Schwächen haben. Wenn die Jahre Ihres Lebens mit Gott vergehen und Sie trotzdem nicht gelernt haben, mehr zu vergeben, barmherziger zu sein, anderen Raum im eigenen Herzen zu geben, zu lieben, zu hoffen, zu glauben, die Zunge im Zaum zu halten, die eigenen Gefühle zu bändigen und vieles andere mehr, bedeutet dies, dass Sie geistlich nicht wachsen. Die Aufforderung, sich in den bemerkenswerten geistlichen Tugenden weiterzuentwickeln, finden wir an vielen Stellen der Bibel:

„Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.“ (Eph 4,31-32)

„So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar.“ (Kol 3,12-15)

„Die Weisheit aber von oben her ist zuerst lauter, dann friedfertig, gütig, lässt sich etwas sagen, ist reich an Barmherzigkeit und guten Früchten, unparteiisch, ohne Heuchelei.“ (Jak 3,17)

„Darum ermahne ich euch: Folgt meinem Beispiel!“ (1 Kor 4,16)

„Folgt mir, liebe Brüder, und seht auf die, die so leben, wie ihr uns zum Vorbild habt.“ (Phil 3,17)

„Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; ihr Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach.“ (Hebr 13,7)

Wenn Ihr Vertrauen zu Gott nicht tiefer wird, Ihre Hingabe in den Dienst für den Herrn nicht zunimmt, wenn sich Ihr Gebetsleben nicht weiterentwickelt und Sie in Ihrem Leben als Christ nicht immer neue Früchte für den Herrn bringen, ist das ein Hinweis darauf, dass Sie geistlich nicht wachsen!

Wenn wir das praktizierte Christsein beurteilen, so ist damit nicht gemeint, dass das Leben eines Christen perfekt aussehen muss, wie eine Gerade, die von der Erde direkt zu Gott in den Himmel strebt. Der Weg eines Christen gleicht eher einer Sinuskurve: In einer zweidimensionalen Ebene betrachtet, führt sie nach oben und nach unten, auf und wieder ab. Noch genauer kann man sich diesen Zustand in einem dreidimensionalen Raum als Spirale oder zyklischen Ablauf vorstellen, bei dem Gott uns immer wieder an den Punkt zurückführt, wo wir eine schon früher gewonnene Erkenntnis neu lernen sollen, nur auf einer anderen geistlichen Ebene. Doch wenn man alle Aufs und Abs, Zeiten der Begeisterung und der Enttäuschung, des Glaubens und des Misstrauens, des Gehorsams und der eigenen Wege, alle positiven und negativen Lektionen zusammenfasst, sollte sich eine Art Mittellinie durch unser Leben ergeben, die wie eine Gerade von unserem zeitlichen Leben in die Ewigkeit führt, zu unserem Herrn und Retter. „Der Gerechten Pfad glänzt wie das Licht am Morgen, das immer heller leuchtet bis zum vollen Tag.“ (Spr 4,18)

Wenn man ein Verständnis für geistliches Wachstum, wie es in der Bibel dargestellt wird, gewinnt und sich dann die Christen weltweit anschaut, beginnt man zu erkennen, was für ein globales Problem in ausnahmslos allen Konfessionen und Kirchen besteht. Bedauerlicherweise rühmen sich viele Christen in ihrer beschränkten Sicht und Torheit, dass sich das Bekenntnis und die praktische Ausübung ihres Glaubens bei ihnen persönlich über viele Jahrzehnte nicht geändert haben. (In manchen Konfessionen gibt es seit Jahrhunderten keine Veränderung!) Sie meinen, dies sei ein Zeichen für ihr vergleichbar „hohes“ geistliches Niveau; doch in Wirklichkeit benennen sie selbst, mit eigenen Worten, ihr Problem und richten sich selbst: Sie sind für eine gewisse Zeit im Glauben nicht gewachsen!

Geistliches Wachstum ist ein Wirken, das der Herr für alle Christen vorgesehen hat und das sich wie ein roter Faden durch das ganze Leben eines von neuem geborenen Menschen ziehen sollte. Gott, der Vater, der uns durch das Wort der Verkündigung und durch seinen Heiligen Geist wiedergeboren hat, ist von sich aus ständig damit beschäftigt, bei jedem Wiedergeborenen den Wachstumsprozess zu fördern. „… da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt.“ (Apg 17,25b) Alles, was zum Leben und zur Frömmigkeit dient, hat uns seine göttliche Kraft geschenkt …“ (2 Petr 1,3a) So nennt uns der Heilige Geist durch den Apostel Paulus noch einen weiteren Namen Gottes: „Gott, der das Gedeihen gibt“ (1 Kor 3,7).

Die Voraussetzung für das Wachstum des inneren, geistlichen Menschen ist also das frei wählbare und freiwillige Mitwirken des Menschen; ohne dieses kann Wachstum einfach nicht stattfinden. Es ist die demutsvolle Beteiligung an der Arbeit, die Gott an uns tut. Die Hauptinitiative liegt natürlich immer bei Gott. Wenn er nicht ruft – wie können wir dann zu ihm kommen? Wenn er uns nicht gnädig ist und uns nicht verzeiht – wie können wir dann zu Menschen werden, denen Erbarmung widerfahren ist? Wenn er uns nicht durch seinen Geist von neuem geboren werden lässt – wie können wir dann zu Kindern Gottes werden? Und wenn er nicht das Gedeihen gibt – wie können wir dann wachsen? Christus lehrte: „Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat …“ (Joh 6,44a) „Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ (Joh 15,4-5) „Es warten alle auf dich, dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit. Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gutem gesättigt. Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder Staub. Du sendest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und du machst neu die Gestalt der Erde.“ (Ps 104,27-30)

Doch diese und weitere ähnliche Aussagen der Heiligen Schrift über die vorausgehende Initiative Gottes entheben uns nicht der Verantwortung, die uns von unserem Schöpfer dadurch auferlegt wird, dass er uns in einem von ihm bestimmten Maß mit einem freien Willen ausgestattet hat. Wer seinen persönlichen Verantwortungsbereich vor Gott richtig versteht und unablässig alles daran setzt, die Gnadengaben Gottes zu empfangen, dem wird vieles gelingen, der bringt dreißigfach, sechzigfach, ja hundertfach Frucht und wächst „zum vollen Maß der Fülle Christi“.

“Den menschlichen Willen zu überspielen (was seine fühlbare Gegenwart […] sicher täte) wäre für ihn [Gott] nutzlos. Er kann nicht hinreißen. Er kann nur werben. Seine niederträchtige Absicht ist, den Pudding gleichzeitig zu verzehren und aufzubewahren. Die Geschöpfe sollen eins sein mit ihm und doch sie selber bleiben. Ihre Persönlichkeit einfach aufzuheben oder sie sich anzupassen dient ihm nicht. Er ist zwar bereit, sie am Anfang ein wenig zu überwältigen. Er bringt sie mit Mitteilungen seiner Gegenwart auf den Weg, die, so gering sie auch sein mögen, ihnen schon erhaben scheinen, und mit beseligenden Gefühlen und der Zuversicht leichter Siege über alle Versuchungen. Er aber lässt diesen Zustand nie zu lange währen. Früher oder später entzieht er ihnen, wenn auch nicht in Wirklichkeit, so doch wenigstens für ihre bewusste Erfahrung, alle jene Stützen und Reizmittel. Er lässt das Geschöpf auf seinen eigenen Füßen stehen, damit es aus eigenem Willen die nun aller Reize entblößten Pflichten erfülle. Während solcher Perioden der Mühe, und nicht in der Begeisterung, wächst es zu einem Geschöpf heran, wie er (der Herr) es haben will.“ (C. S. Lewis, „Dienstanweisung für einen Unterteufel”)

Achten Sie einmal darauf und denken Sie darüber nach: Unser Schöpfer gab uns in seiner großen Liebe eine Orientierungshilfe: Die gleichen Prinzipien und Prozesse, die wir im normalen irdischen, physischen Leben beobachten können, finden in ähnlicher Weise auch in unserem geistlichen Leben statt.

© Copyright: Serhiy Tupchyk (Sergey Tupchik, Sergej Tuptschik), 2014.

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